Likrat Schabbat, mit dem ich Sie erreichen möchte, bedeutet «auf zu Schabbat» und bezieht sich auf ein Zitat von Rabbi Chanina, aufgezeichnet im Talmud Bawli (Schabbat 119a) und aufgenommen in unserem Sidur (S. 67):
באו ונצא לקראת שבתה מלכה  – «Kommt lasst uns die Königin Schabbat willkommen heissen.» Ich hoffe aus ganzem Herzen, dass Likrat Schabbat Ihnen hilft, sich auf die wöchentliche Begegnung mit Schabbat zu freuen und Schabbat zu einer speziellen, beruhigenden und vielleicht sogar nährenden Zeit zu gestalten.
Rabbiner Ruven Bar Ephraim

Gerne senden wir Ihnen Likrat Schabbat auch per E-Mail zu. Senden Sie eine entsprechende Nachricht an unser Sekretariat

Sidra Schelach lecha, 23. Siwan 5784

Toralesung: Bemidbar (4BM) 14:11 - 45; Haftara: Jehoschua 14:1 - 15.

28.06.2024        18.45    Ma’ariw leSchabbat

29.06.2024        10.00    Schacharit leSchabbat
 

Umdenken
 

Die Diskussion ist ein grundlegendes Merkmal unserer Tradition. Das deutlichste Beispiel dafür ist der Talmud. Die aufgezeichneten Diskussionen zwischen den talmudischen Rabbinen faszinieren mich. Jedes Argument wird durch einen Vers aus dem Tanach unterstützt. Wir finden auf nur einer Seite des Talmud über Hunderte Jahre geführte Diskussionen zwischen Generationen von Rabbinen. So lässt sich im Laufe der Zeit eine Entwicklung im Denken der Rabbiner beobachten.
 

Denselben Mechanismus finden wir auch im Tanach, der hebräischen Bibel. Ein Beispiel dafür lesen wir diese Woche in der Sidra Schelach Lecha. Nachdem zehn der 12 Kundschafter, die Mosche zur Erkundigung in das Gelobte Land geschickt hatte, mit einem erschreckenden Bericht von ihrer Mission zurückkehren, reagiert der EWIGE zornig und droht, das Volk zu vernichten. Mosche springt, wie schon so oft, in die Bresche, um das Volk zu verteidigen, weist aber vor allem den EWIGEN auf seine Eigenschaften hin: «Der EWIGE ist langmütig und von grosser Gnade, Er vergibt Schuld und Vergehen, lässt aber nicht ungestraft, sondern sucht die Schuld der Vorfahren heim an den Söhnen bis zur dritten und vierten Generation.» (Bemidbar [4BM] 14, 18)
 

Die interne Diskussion im Tanach betrifft die letzten Worte: «sondern sucht die Schuld der Vorfahren heim an den Söhnen bis zur dritten und vierten Generation». Diese Aussage bedeutet, dass die Nachkommen von Menschen, die, ohne dass sie selbst gegen das göttliche Gesetz verstossen haben, für diese Handlung der Vorfahren bestraft werden können. Ähnliche Worte finden wir auch an einer anderer Stelle in der Tora (Schemot 34, 6-7), die auch Teil der Liturgie an Jom Kippur ausmacht. Ich finde diese Worte schwer zu verdauen. Wie kann das Enkelkind eines Verbrechers für etwas bestraft werden, was es nicht getan hat? Im Buch Schemot lesen wir auch über übererbte Schuld, dann aber mit einem Zusatz: «Du sollst dich nicht niederwerfen vor ihnen und ihnen nicht dienen, denn Ich, der EWIGE, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Vorfahren heimsucht an den Nachkommen bis in die dritte und vierte Generation, bei denen, die mich hassen». (Schemot 20, 5) Diese letzten Worte machen den Unterschied aus. Die Schuld wird lediglich an die, die den EWIGEN hassen übertragen. Im letzten Buch Dewarim, wird der Vers aus unserer Sidra umgedacht und umgeformt: «Die Väter sollen nicht um die Kinder getötet werden, und die Kinder sollen nicht um die Väter getötet werden, ein jeder soll für seine eigene Schuld getötet werden.» (Dewarim 24,4). Der Prophet Jecheskel schreibt seine Vorstellung von der Gerechtigkeit Gottes nicht als Prophezeiung, sondern als theologische Tatsache: «Die Seele, die sündigt, die soll sterben: ein Sohn soll nicht mittragen die Schuld des Vaters und der Vater soll nicht mittragen die Schuld des Sohnes, die Gerechtigkeit des Gerechten kommt ihm heim, und der Frevel des Frevlers kommt ihm heim». (Jecheskel 18, 20).
 

Jecheskels Meinung zur Erbschuld ist heute glücklicherweise weit verbreitet, und es gibt kein Gericht, das jemanden wegen der Taten der Eltern oder Grosseltern verurteilt.
 

Schabbat Schalom,

Rabbiner Ruven Bar Ephraim